ECPMF: Franziska Grillmeier, Sie arbeiten schon lange zum Thema Geflüchtete und Migration und wohnen auf der Insel Lesvos in Griechenland. Diese Insel ist seit einigen Jahren den meisten vor allem in Bezug auf das Geflüchtetencamp Moria ein Begriff, das letztes Jahr im Herbst jedoch abbrannte.

Kommendes Wochenende, am 20. Juni findet der Weltflüchtlingstag statt. Sie beschäftigen sich unter anderem vor allem mit Migration und Geflüchteten an der europäischen Außengrenze.

Welche journalistischen Herausforderungen bringt dieses besondere Gebiet mit sich, auch im Vergleich zu anderen Themen?

Grillmeier: Wir erleben einen Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Bezug auf Flüchtlingsrechte wie brutale Polizeigewalt oder Asylverfahren, die nur mehr simuliert werden. Wir als Presse haben aber eigentlich kaum mehr Zugang, um das zu dokumentieren. Ich bin jetzt seit Sommer 2018 auf der Insel [Lesbos]. Anfangs konnte ich einfach dabei sein, wenn ein Schlauchboot ankam, es gab Zutritt zu Gerichtsälen und Moria. Ich konnte Menschen treffen, mit ihnen im Zelt Stunden übers Leben reden, über die aktuellen Umstände. All das ist jetzt, drei Jahre später, nicht mehr möglich. Seit dem 9. September 2020, als Moria abgebrannt ist, kann ich nur mit Polizeibegleitung ins Lager. In das neue temporäre Lager wurde die internationale Presse erst zwei Mal zugelassen. Dadurch ist eine würdevolle, unabhängige Berichterstattung nicht mehr möglich.

Das gleiche sehen wir bei den Gerichtsverfahren. Die sogenannten Brandstifter von Moria wurden zu zehn Jahren Haft verurteilt, während internationale und nationale Pressevertreter:innen und Menschenrechtsbeobachter:innen nicht zugelassen waren. Erlaubt waren nur 15 Menschen im Saal. Das sind immer wieder Fälle, wo es enorm schwierig wird, zu den Leuten vorzudringen und die eigene Arbeit zu machen.  Wie nach dem Feuer, als über 10.000 Leute in einem Kessel gefangen waren und uns die Polizei aus Sicherheitsgründen nicht durchgelassen hat. Wir mussten alternative Wege und Routen durch die Olivenbaumfelder suchen, um mit den Leuten zu reden.

Da können wir von einer gezielten Einschränkung der Pressefreiheit sprechen.

ECPMF: Begründet wurde der Ausschluss der Presse vom Prozess um den Brand in Moria von mit Corona-Hygienevorschriften. Wie kann noch gewährleistet werden, dass die Berichterstattung valide ist, wenn man nicht selbst vor Ort recherchieren kann?

Grillmeier: Das ist eine wichtige Frage. Im Falle des Gerichtsurteils spreche ich natürlich mit den Anwält:innen, da ich nicht mit den Angeklagten sprechen kann und mir kein Bild vor Ort vom Ablauf und der Stimmung machen kann. Oft gibt es Berichte von von Einschüchterungen der Zeug:innen durch eine zu hohe Polizeipräsenz, von einem rüden Umgangston und rassistischen Äußerungen der Justiz im Gerichtssaal. Bei diesem Prozess, wurden die vier junge Afghanen, darunter drei Minderjährige von einem Kronzeugen identifiziert, der im Gericht gar nicht anwesend war. Zudem konnte keiner der eingeladenen 15 Belastungszeugen im Gerichtssaal bestätigen, die Angeklagten in der angeblichen Tatnacht gesehen zu haben.

Das sind alles Dinge, die gegen das Grundrecht verstoßen. Wir als Journalist:innen tun uns im Nachhinein aber schwer, alles genau nachzuvollziehen, da wir eben nicht im Gerichtssaal zugelassen waren.

ECPMF: Auch an anderen Orten ist es schwer, frei zu berichten. Erst im April dieses Jahrs war es Medienschaffenden möglich, das neue Camp zu besuchen. Wie beurteilen Sie die Lage der Pressefreiheit hier?

Grillmeier: Ich war früher fast jeden zweiten Tag in Moria, saß über Stunden da und habe mit Leuten gegessen und auch Stille zugelassen. Ich bin gelernte Reporterin, ich brauche diese Zwischentöne. Die sind jetzt nicht mehr möglich, wenn wir uns am Supermarktparkplatz treffen, also dort, wo sich die Campbewohner:innen noch aufhalten dürfen. Neben Einkaufswägen kauernd ein Interview mit einem Folterüberlebenden zu führen, funktioniert nicht und führt ganz oft zu enormer Retraumatisierung. Es fehlt der sichere Raum.

Stimmen werden vehement eingeschränkt, Medienschaffende rigoros eingeschüchtert

ECPMF: Wie ist die letzte Pressekonferenz im Camp abgelaufen?

Grillmeier: Das letzte Mal im Camp war für 30 Minuten in einer Gruppe von 30, 35 anderen Medienschaffenden, die alle ganz schnell versuchten, Fotos zu machen. Die Campbewohner:innen wurden nicht informiert, wussten nicht, wer sie da interviewt, wir durften uns nicht vorstellen, durften zum Teil nicht mit den Leuten sprechen. Ich wurde immer wieder von den Pressevertretern des Migrationsministeriums am Ärmel weggezerrt. So kann man sich kein Bild der Lage machen.

Die Menschen sollen immer mehr zu Geistern werden. Sie werden aus dem Bild der Öffentlichkeit gedrängt, während das Gefühl suggeriert wird, man hätte alles unter Kontrolle.

Stimmen werden vehement eingeschränkt, wie auch von Medienschaffenden unter den Campbewohnern, werden rigoros eingeschüchtert. Das ist wie eine rechtliche Parallelwelt, in der sich die Geflüchteten befinden.

Intransparenz, unbeantwortete Anfragen, Festnahmen

ECPMF: Welche Rolle spielen die politischen Institutionen wie die griechische Regierung und die EU in der sich verändernden Lage der Pressefreiheit?

Grillmeier: Man hat die Grundstimmung von der griechischen Regierung in die Ecke der Fake News gedrängt zu werden. Bei einer Pressekonferenz im März haben sich Migrationsminister Notis Mitarakis und EU-Kommissarin Eva Johannson der nationalen und internationalen Presse gestellt, nachdem die EU Geld für fünf neue Hochsicherheitslagern auf den ägäischen Inseln gegeben hat. Die Regierung wurde nach illegalen Push-Backs gefragt, die erwiesenermaßen immer wieder in der Ägäis stattfinden. Das wurde als Fake News bezeichnet und wir sollten unseren Job richtig machen.

Oft gibt es regelrechte Diffamierungskampagnen, in dessen Zuge man der „Lügenpresse“ bezichtigt wird.

Das ist ein Klima, in dem ganz offene Kritik nicht mehr zugelassen wird. Es herrscht eine große Intransparenz und Verzögerung von Antworten auf Presseanfragen. Das zieht sich hin bis zu willkürlichen Verhaftungen an der Küste von verschiedenen Kolleg:innen, die wir in Samos und Lesbos im letzten Jahr beobachten konnten. Wenn ich vor Ort war, wenn ein Schlauchboot mit Geflüchteten ankam, wusste ich, dass ich auf die Polizeistation mitgenommen werde und dass ich des Schmuggelns bezichtigt werden kann, weil keine Dokumentation von Rechtsbrüchen gewollt ist. Da stelle ich mir die Frage: Zu welchem Preis fahre ich hin?

Natürlich versuche ich mich an die Regeln zu halten, doch manchmal hat man das Gefühl, dass sie sich innerhalb von wenigen Stunden wieder verändern können und auch bei der Polizei oft gar nicht bekannt ist, welchen Zugang Journalist:innen haben und welchen nicht.

Wie die Lage in Zukunft in den neuen Lagern aussieht, wissen wir noch nicht genau. Diese neuen Lager werden im Hinterland gebaut, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das bereitet uns große Sorgen, wie wir unseren Job machen sollen und überprüfen können, wie die EU-Standards dort eingehalten werden, ohne dass wir da reinkönnen.

Das Auge der Öffentlichkeit darf nicht erblinden

ECPMF: Können die die Medienschaffenden und Journalist:innen vor Ort hier ihre Funktion noch erfüllen?

Grillmeier: Solange man nicht darüber berichtet, existiert es einfach nicht. Es ist das Auge der Öffentlichkeit, was dort nicht erblinden darf. Es braucht unabhängige Beobachter:innen vor Ort. Das ist ein Grundrecht, was nicht eingeschränkt werden darf.

Ich hätte diesen rasanten Abbau der Rechtsstaatlichkeit, den wir allein im letzten Jahr erleben konnten, in den Gerichtssälen, aber auch im Zuge der Pressefreiheit, nicht für möglich gehalten.

Das wird aber nicht nur von der griechischen Regierung so gehandhabt, sondern auch im vollen Bewusstsein von den EU-Mitgliedsstaaten getragen, die das als Preis der Grenzsicherung sehen. Nicht nur in Griechenland, sondern auch an der bosnisch-kroatischen Grenze, an der italienisch-französischen Grenze schüchtern staatlichen Akteure die Presse ein oder die Polizei hindert sie an der Arbeit.  Das Arbeitsfeld spiegelt also die rechtliche Parallelwelt der Geflüchteten wider, in der Gesetzlosigkeit vorherrscht.

Warten auf die nächste Eskalation

ECPMF: Welche Risiken bringt diese Veränderung mit sich?

Grillmeier: Es ist ein unglaublicher Druck, der auf den Menschen in den Lagern lastet. Die Folgen der Isolation sind enorm. Die psychischen Folgen der Lagerzustände sind laut Ärzte ohne Grenzen so stark wie noch nie. Für viele Geflüchtete wird der Überlebenswillen durch die Isolation immer weniger

Ich persönlich fühle mich aktuell nicht bedroht. Anders aber vergangenen März, wo wir immer wieder, wie viele humanitäre Helfer:innen und Geflüchtete von rechtsradikalen Gruppierungen angegriffen und dadurch an der Arbeit gehindert wurden.

Ich wurde im Auto angegriffen oder mit Steinen und Stöcken davon abgehalten, ins Lager zu fahren. Wir sind gut aus dieser Situation herausgekommen, aber die generelle Stimmung war angespannt. Das war eine Hetzjagd. Der Frust der Inselbewohner ist implodiert, viele rechtsradikale Gruppen mobilisierten sich aus ganz Griechenland und teilweise auch anderen Europäischen Ländern. Das hatte wochenlang große Unsicherheit zur Folge. Viele verließen aus Sicherheitsgründen die Insel.

Das ist jetzt anders und ich kann dort arbeiten und leben, auch weil es noch immer einen großen Mut unter den unermüdliche Inselbewohner:innen, die sich seit Jahren solidarisch einsetzen. Trotzdem nutzt sich jeder Aufschwung einmal ab, und man weiß nie, wann die Stimmung wieder kippt.

Noch immer würde ich mir jetzt keine Presseweste anziehen und denken, dass ich dadurch geschützt bin, eher im Gegenteil.”

ECPMF: Welchen Akteur sehen Sie hier in der Pflicht, Maßnahmen zum Schutz der Pressefreiheit zu ergreifen und welche Maßnahmen könnten das sein?

Grillmeier: Im Endeffekt ist es die griechische Regierung, aber allen voran auch die Europäischen Mitgliedsstaaten, die sich wieder an geltendes EU-Recht halten müssen und eine starke Zivilgesellschaft die dies auch wieder einfordert.

Daneben hilft es bestimmt, wenn die Redaktionen in Europa und auch in Deutschland, ein Auge darauf haben, welche Hürden Kolleg:innen an den EU-Grenzen bei ihrer Arbeit nehmen müssen und dies zum Thema in der Berichterstattung machen.
Das gilt für Griechenland, aber auch für Bosnien und Herzegowina, für Kroatien, Frankreich, aber auch Berichterstatter:innen auf Rettungsschiffen im Mittelmeer oder Ländern, mit denen die EU Fluchtabkommen geschlossen hat, wie zum Beispiel Libyen oder der Türkei. Dort sind nur eine Handvoll präsenter Journalist:innen, die kontinuierlich berichten. Wenn da aufgestockt würde, würde uns das sehr guttun.

Wir sollten auch mehr zusammenarbeiten, damit wir gewissen Sicherheitsnetze haben und uns nicht allein fühlen, wenn wir beispielsweise verhaftet werden, aber die Solidarität untereinander ist schon jetzt großartig.


Franziska Grillmeier (Copyright: Julian Busch)

Über unsere Interviewpartnerin

Franziska Grillmeiner ist freie Journalistin und Reporterin. Ihr Schwerpunkt sind politische und gesellschaftliche Themen wie Gesundheitsversorgung in Kriegs- und Krisensituationen, Internationales Recht, Naher Osten, Migration und Trauma.
Sie lebt auf der Insel Lesbos, in Griechenland.


 

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