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Am 29. April 2018 haben zwei Neonazis den Journalisten Martin Mayer* und seinen Kollegen brutal attackiert, als die beiden Journalisten zu Recherchezwecken über den NPD-Funktionär Thorsten Heise in Fretterode, Thüringen waren. Beide Journalisten trugen schwere Verletzungen davon und mussten im Krankenhaus behandelt werden; ihre Ausrüstung wurde bei dem Überfall entwendet. Erst dieses Jahr, also drei Jahre später, gibt es einen Termin für den Prozess gegen die zwei Angreifer.
Wir sprechen mit einem der betroffenen Journalisten, der anonym bleiben möchte.
ECPMF: Welches Signal hat es, wenn so ein Prozess jetzt drei Jahre auf Eis lag?
Martin Mayer: Es ist ein fatales Zeichen der Strafverfolgungsbehörden an Neonazis. Für sie ist es ein Signal, dass sie alles machen können und in nächster Zeit erstmal nicht dafür bestraft werden. Das kommt einem Freibrief sehr nahe, wie jetzt auch bei dem Prozess gegen Neonazis im Ballstädt Prozess zu sehen ist. Die Verfahren haben jetzt fünf oder sechs Jahre gedauert. Nun bietet die Justiz den angeklagten Neonazis Deals an, sodass sie für krasse Gewalttaten nur Bewährungsstrafen bekommen. Ich und auch meine Anwälte befürchten, dass beim kommenden Fretterode-Prozess auch hier die Strafen empfindlich gesenkt werden, weil das Verfahren schon so lange dauert.
ECPMF: Was erwarten Sie sich von dem Prozess, der jetzt im September 2021 gegen die Täter ansteht?
Mayer: Das ist schwierig zu sagen. Es wird ein sehr langer Prozess, die Justiz hat zwanzig Prozesstage angesetzt. Meine Anwälte meinen, dass wir auf jeden Fall einen längeren Prozess brauchen, weil so viele Zeug:innen gehört werden müssen.
Ich erwarte mir einen fairen Prozess für uns. Für mich persönlich ist es immer wieder eine Belastung, weil der Prozess schon zwei Mal verschoben worden ist. Ich bereite mich seelisch und innerlich immer wieder darauf vor und immer wieder wird er verschoben. Es ist psychisch sehr schwer für mich, damit umzugehen und ich merke auch, wie mich das immer weiter angreift.
Herzklopfen, psychische Belastung und eingeschränkte Recherche
ECPMF: Welchen Einfluss hat diese brutale Attacke auf Ihre journalistische Arbeit?
Mayer: Nach dem Angriff habe ich mich anderthalb Monate zurückgezogen, musste das erstmal selbst realisieren, was da passiert ist. Ich habe dann langsam wieder angefangen, neonazistischen Versammlungen zu dokumentieren, immer mit dem Hintergrund, ich weiß, hier ist Polizei. Die Polizei ist dafür da, die Pressefreiheit durchzusetzen und mich auch zu beschützen, wenn ich angegangen werde, was sie oftmals auch gemacht hat, oftmals auch sehr spät gekommen ist oder das auch mal nicht gemacht hat.
Ich habe mein Sicherheitsnetz weiter ausgebaut. Wenn mir was passieren würde, gibt es Leute, die darauf reagieren können.
Bis heute gehe ich mit mehr Herzklopfen zu öffentlichen, neonazistischen Versammlungen als vorher, gerade wenn ich weiß, dass Thorsten Heise auftreten wird. Davor schlafe ich drei, vier Nächte sehr schlecht und bin sehr aufgeregt.
Ich dokumentiere außerdem nur noch öffentliche Versammlungen und fahre nicht mehr zu konspirativ organisierten Treffen, weil die psychische Belastung, wie ich nach ein, zwei Malen gemerkt habe, einfach zu hoch für mich ist, sodass ich davon Abstand genommen habe.
ECPMF: Ihre Arbeit hat sich insgesamt also schon sehr drastisch verändert?
Mayer: Auf jeden Fall. Der Druck und die psychische Belastung haben sich extrem geändert.
Aber das ist eine Entscheidung von mir gewesen, dass ich weitermache, um zu zeigen, mit solchen Gewalttaten kann man engagierte Journalist:innen nicht einschüchtern.
Die Radikalisierung der Coronaleugner:innen trifft die Presse
ECPMF: Die vom ECPMF veröffentlichte Feindbild-Studie rechnet fast die Hälfte der 2020 verzeichneten Angriffe dem rechten Spektrum zu. Hinzu kommt die Praxis des Doxing, also Adressen online zu veröffentlichen sowie vermehrte Feindes- und Todeslisten. Haben wir es mit einer neuen Qualität in der Verfolgung von kritischen Stimmen und Journalist:innen zu tun?
Mayer: Da würde ich zwischen Neonazis und dem sogenannten Coronaleugner:innenspektrum unterscheiden. Es gibt eine starke Radikalisierung in diesem Spektrum. Sie bedienen sich sehr des Doxings und den Mechanismen der neonazistischen Szene. In der Neonazi-Szene hat sich die Bedrohungslage aber nicht geändert. Sie ist zwar öffentlicher und bekannter geworden, aber Kolleg:innen, die seit zwanzig, dreißig Jahren in dem Bereich arbeiten, bestätigen die immer konstante Bedrohungslage. Das ist anders auf Seiten der Coronaleugner:innen.
ECPMF: Die Feindbildstudie macht außerdem die Pressefeindlichkeit als eine ideologische Klammer für verschiedene Gruppen von Coronaskeptiker:innen und Verschwörungsideolog:innen bis hin zur extremen Rechten aus. Teilen sie diese Einschätzung?
Mayer: Ich teile diese Einschätzung auf jeden Fall. Die Coronoleugner:innen bedienen sich den Mechanismen der extremen Rechten, greifen aber im Gegensatz zu Neonazis bei Demonstrationen wirklich an. Es klingt hart, aber ich gehe lieber auf neonazistischen Events fotografieren, als in diesem Spektrum, weil ich weiß, dass Neonazis auf einem Aufmarsch genau wissen, wie sie sich zu benehmen haben. Sie greifen also eher nicht die Presse an, sondern bedrohen nur.
Im Gegensatz zum verschwörungsideologischen Spektrum, die sich stark von einer angeblichen Diktatur bedroht fühlen und das neu für sie ist. Diese Gruppe ist aufgeregter und radikaler geworden. Sie folgen ihrem Gefühl sich von mir bedroht zu fühlen. Dazu haben sie oft noch nicht den medialen Widerhall bekommen, wenn sie Pressevertreter:innen angegriffen haben. Wenn man auf neonazistischen Aufmärschen Presse angreift, gibt es diesen medialen Widerhall.
Im neonazistischen Spektrum wird das schon in der politischen Grundbildung weitergegeben.
Im coronaverharmlosenden Spektrum führt die nicht vorhandenen Erfahrung aber dazu, vermehrt Pressevertreter:innen anzugreifen.
ECPMF: Aber aktuell ist es ja schon einer der Hauptkritikpunkte in der medialen Öffentlichkeit, die gegen diese Demonstrationen genannt wird.
Mayer: Auf jeden Fall, aber das lernt man nicht von nur einem Vorfall, gerade weil das coronaverharmlosende Spektrum sich gerade erst radikalisiert und politisiert und öffentlicher wird. Bei den Neonazis ist das ein Lerneffekt über Jahre hinweg gewesen, was sich aber auch nur auf Versammlungen bezieht. Wenn man dann ein konspiratives Treffen beobachtet, wie in meinem Fall, ist es schon wieder eine ganz andere Geschichte.
Kein ausreichender Schutz durch die Polizei
ECPMF: Die Organisation Reporter ohne Grenzen bewertet die Pressefreiheit in Deutschland 2021 nur noch als “zufriedenstellend” und bestätigt damit die in der Feindbildstudie dargestellte Entwicklung. Auf Demonstrationen sind zum einen die Demonstrierenden selbst der Grund für Angriffe auf Journalist:innen, aber auch aus Richtung der Polizei musste mehrmals Fehlverhalten im Umgang mit der Presse festgestellt werden. Schützt die Polizei die Medien hier genug?
Mayer: Meiner Meinung nach schützt die Polizei Pressevertreter:innen nicht genug auf Versammlungen. Das hat aus meiner Erfahrung viele verschiedene Gründe. Einerseits geschieht das aus polizeitaktischen Gründen. Wenn zwei Pressevertreter:innen einen Aufmarsch dokumentieren, ist es viel einfacher, diese zwei Personen aus der Situation zu entfernen als umgekehrt, was aber gegen die Pressefreiheit spricht.
Eigentlich müsste die Polizei diese zwei Personen vor der großen Masse beschützen. Andererseits wissen viele Polizeibeamt:innen nicht viel über die Pressefreiheit und den Pressekodex, wie Presse funktioniert und was Pressevertreter:innen dürfen. Da müsste es eine klare Nachschulung oder klare Schwerpunktsetzung in der Ausbildung der Polizei geben wie mit Pressevertreter:innen auf Aufmärschen zu agieren ist.
Was auch zu sehen ist, Pressevertreter:innen werden bei der Polizei als Feind gesehen.
Wenn ich Polizeigewalt dokumentiere, dann können diese Videos veröffentlicht werden und die agierenden Polizist:innen, aber auch die Polizei an sich, in einem schlechten Licht dastehen, was natürlich nicht gewollt ist.
Die Presse als Feindbild
ECPMF: Wir haben als ECPMF den Pressefreiheitskodex für die Polizei entwickelt, um den Umgang zwischen Presse und Polizei zu fördern. Nichtsdestotrotz ist die Polizei kürzlich bei einer Blockadeaktion in Berlin wieder heftig mit Pressevertreter:innen umgegangen. Haben Sie das Gefühl, dass das Verhältnis zwischen Polizei und Presse rabiater wird oder ist hier noch eine Annäherung möglich?
Mayer: Es wird auf jeden Fall rabiater.
Gerade bei Dokumentationen des zivilen Ungehorsams wird die Presse von der Polizei auf jeden Fall als Feindbild gesehen und auch mit Anzeigen überhäuft.
Wenn ich als Pressevertreter eine Aktion des zivilen Ungehorsams, wie eine Blockade dokumentiere, habe ich teils eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch bekommen, weil ich Aktivist:innen begleitet habe, die einen Kohlebagger blockiert haben. Die wurde zwatr durch Einschreiten meines Anwalts wieder fallengelassen, weil klar war, dass ich diese Aktivist:innen pressetechnisch begleitet habe, aber trotzdem habe ich eine Anzeige bekommen, trotzdem war es haarscharf an der Grenze, dass mein gesamtes Kameraequipment durch die Polizei beschlagnahmt wird. Ich weiß nicht so richtig, wie dort noch eine Annäherung stattfinden kann.
ECPMF: Welchen gesellschaftlichen Akteur sehen Sie hier in der Pflicht, presseschützende Maßnahmen zu ergreifen und was erhoffen Sie sich davon?
Mayer: Die Politik hat Einfluss auf die Polizei. Ich wünsche mir durch die Politik nicht nur Lippenbekenntnisse, dass die Pressefreiheit hochgehalten werden muss, sondern eben auch konkret Einfluss darauf zu nehmen, sei es durch Schulungen, sei es durch Gespräche von der Polizei mit Pressevertreter:innen an einem runden Tisch.
In der Zivilgesellschaft gibt es diesen Druck auch. Wenn ich von Polizist:innen davon abgehalten werde, meine Arbeit zu machen und dabei angegangen werde und Kolleg:innen das sehen und aufnehmen, dann wird das in der Presse, aber auch in der Zivilgesellschaft thematisiert.
Aber da kommt noch zu wenig Druck bei Polizist:innen an.
Bei Neonazis ist es ein bisschen schwieriger. Da geht es dann in die ideologische Ecke der Neonazis. Gewalt und Bedrohungen sind ganz klar in der Ideologie von Neonazis und extrem rechten Akteur:innen verankert und hier muss es eine politische, aber auch zivilgesellschaftliche Antwort auf diese Ideologie geben, das kann nicht nur auf die Pressefeindlichkeit reduziert werden.
*Die Redaktion hat den Namen auf Wunsch geändert.
Über unseren Interviewpartner
Martin Mayer recherchiert seit einigen Jahren unter anderem für Fachmagazine in der extremen Rechten.
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